Finanzplanung

Die Leibrente zwischen Geschichte und Zukunft

Schon viele Jahrhun­derte vor der uns heute bekannten Form der öffent­lichen Sozial­ver­si­che­rungen suchten die Menschen in Europa nach Wegen, ihren Lebens­abend abzusi­chern. Im Mittel­alter entwi­ckelten sich zunächst so genannte «Pfründe»: Klöster boten Menschen gegen die Übertragung ihres Vermögens lebens­lange Unter­kunft, Verpflegung und Pflege in ihren Hospi­tälern an. Später entstand daraus in den ländlichen Gegenden das so genannte «Leibgeding» (andernorts auch «Schleiss» genannt), eine Form der bäuer­lichen Leibrente, wie sie in der Schweiz noch heute anzutreffen und als «Verpfründung» im Obliga­tio­nen­recht geregelt ist. Auch hier wurde sich – meist im familiären Rahmen — im Austausch gegen Vermögen und Grund­ei­gentum eine lebens­lange Versorgung durch den Pfrund­geber gesichert.

Die heute bei Versi­che­rungen oder auch im privaten Geschäfts­verkehr anzutref­fende Leibrente stellt eine moderne Form dieses Leistungs­tau­sches dar. Gegen die Übergabe eines Vermö­gens­be­trages kauft sich die Renten­neh­merin oder der Renten­nehmer eine lebenslang periodisch wieder­keh­rende Zahlung. Die Versi­cherung deckt dabei das finan­zielle Risiko eines langen Lebens ab. Dieses so genannte Langle­big­keits­risiko ist neben der Invali­dität und dem Tod eines der drei grossen finan­zi­ellen Vorsor­ge­ri­siken und wird auch durch die Alters­renten aus AHV und Pensi­ons­kasse mitgedeckt.

Die Leibrente nach Versicherungsvertrag

Im Versi­che­rungs­ver­trags­gesetz (VVG) wurden die Regeln für Leibrenten, welche von Lebens­ver­si­cherern angeboten werden, weitgehend standar­di­siert, sie bieten jedoch trotzdem einen erstaunlich grossen Gestaltungsspielraum:

  • So können sich beispiels­weise statt einer auch gleich zwei Personen gemeinsam versi­chern. Man spricht dabei vom «Abschluss auf zwei Leben». Die Versi­cherung bezahlt die verein­barte Renten­leistung dann bis zum Tod der zweit­ver­ster­benden Person. Es können zwei beliebige Personen eine solche Leibrente gemeinsam erwerben.
  • Die Gegen­leistung in Form des Finan­zie­rungs­ka­pitals kann einmalig oder auch über einen belie­bigen Zeitraum raten­weise geleistet werden.
  • Die Leibrente kann bei Abschluss mit einer so genannten Prämi­en­rück­gewähr ausge­stattet werden. Dies bedeutet, dass im Todesfall des Versi­che­rungs­nehmers das noch nicht verbrauchte Kapital an eine begüns­tigte Person als einmalige Kapital­leistung ausbe­zahlt wird.
  • Letztlich kann nach abgeschlos­sener Finan­zierung der Beginn der Renten­zahlung nahtlos erfolgen oder auch auf einen belie­bigen Zeitpunkt in der Zukunft aufge­schoben werden.

Überdies gewähren Versi­che­rungen im Falle eines positi­veren Geschäfts­ver­laufs Überschüsse. Diese werden in der Folge in das Versi­che­rungs­ka­pital integriert und zu Zusatz­renten umgewandelt.

Vergleich mit der Pensionskassenrente

Gegenüber der Pensi­ons­kas­sen­rente ist die Leibrente flexibler. Pensi­ons­kassen gewähren im Todesfall nur reduzierte Hinter­blie­be­nen­renten, während die Leibrente – auf zwei Leben abgeschlossen – in gleicher Höhe weiter­läuft. Ein grosser Vorteil ist zudem die freie Wahl der mitver­si­cherten Person oder der Begüns­tigung im Todesfall für ein Rückge­währs­ka­pital. Dadurch entsteht insbe­sondere aus nachlass­pla­ne­ri­scher Sicht erheb­licher Gestal­tungs­spielraum, während Pensi­ons­kassen nur einen vorge­ge­benen Kreis von Begüns­tigten zulassen.

Weiter ist die Wahl zwischen Rente und Kapital bei der Pensi­ons­kasse einmalig und unumkehrbar. Ist ein Leibren­ten­vertrag hingegen mit der oben erwähnten Rückgewähr ausge­stattet, kann die Versi­che­rungs­neh­merin oder der Versi­che­rungs­nehmer das Restka­pital jederzeit während der Renten­zah­lungs­dauer zurückkaufen.

Bei all diesen Vorteilen mag auf den ersten Blick verwundern, dass die Leibrente nach VVG heute kaum mehr nachge­fragt wird und bei vielen Versi­cherern sogar ganz aus dem Angebot gestrichen wurde. Längst ist man auf Alter­na­tiv­pro­dukte wie die Zeitrente respektive den Auszah­lungsplan als reine Anlage­lösung übergegangen.

Gamech­anger Besteuerung

Der Grund liegt in der bis anhin sehr nachtei­ligen Besteuerung der Leibrente. Für Steuer­zwecke wurde bisher unter­stellt, dass 40 % der ausbe­zahlten Renten aufgrund von Zinsen zustande kamen und somit steuer­bares Einkommen darstellten. Der gesetzlich vorge­gebene maximale Zinssatz, der solchen Versi­che­rungen zugrunde gelegt werden darf, betrug zuletzt noch 0.05 %, was die Besteue­rungs­praxis zunehmend absurder erscheinen liess. Zudem fallen je nach Ausge­staltung der Leibrente weitere Abzüge wie Vermögens- und Stempel­steuern an.

Mit der gesetz­lichen Anpassung der Besteue­rungs­logik im Jahr 2025 wird neu der steuerbare Anteil der Leibrente in ein Verhältnis zum effektiv erzielten Ertrag gesetzt. Für neu abgeschlossene Verträge resul­tiert so aktuell noch ein Besteue­rungs­anteil von 4 %; für ältere Verträge beträgt der Anteil je nach Abschlussjahr sogar nur 1 %, denn die neuen Regeln gelten auch rückwirkend für bereits in früheren Jahren abgeschlossene Verträge.

Entwicklung bleibt offen

Aber auch künftig wird die Leibrente nicht nur Vorteile gegenüber der klassi­schen Pensi­ons­kas­sen­rente haben. Pensi­ons­kassen sind Kollek­tiv­ver­si­che­rungen, bei denen die Leistungs­kon­di­tionen für alle Versi­cherten gleich gelten. So erhält etwa eine Rentnerin oder ein Rentner mit langer Lebens­er­wartung und renten­be­rech­tigten Hinter­blie­benen die gleiche Rente wie eine allein­ste­hende Person mit kürzerer Lebens­er­wartung. Anders bei der Leibrente: Als Indivi­du­al­ver­si­cherung richtet sich der Versi­cherer nach den persön­lichen Umständen. Einer gesunden Person mit hoher Lebens­er­wartung wird daher tenden­ziell eine tiefere Rente angeboten. Im Konkursfall sind Pensi­ons­kas­sen­renten zudem durch einen staat­lichen Sicher­heits­fonds garantiert.

Die Eignung einer Leibrente muss auch weiterhin im Einzelfall und unter Einbezug der indivi­du­ellen Gegeben­heiten geprüft werden. Hierzu sind eine umfas­sende Aufklärung und Begleitung durch eine fachkundige Beraterin oder einen Berater unerlässlich. Mit Verweis auf das abschlies­sende fiktive Berech­nungs­bei­spiel kann zumindest aus finan­zi­eller Sicht festge­halten werden, dass Leibrenten wieder an Attrak­ti­vität gewonnen haben.

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