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Szenarien für eine Welt mit Corona

In drei Blog-Beiträgen gehen wir der Frage nach, wie die Welt nach der Überwindung der Corona­krise aussehen wird. Viele Fragen können noch nicht schlüssig beant­wortet werden und hängen natürlich auch von unter­schied­lichen Stand­punkten ab. In einem ersten Beitrag konzen­trieren wir uns auf ökono­mische und wirtschafts­po­li­tische Auswir­kungen. In einem zweiten Schritt setzten wir uns mit den poten­zi­ellen Entwick­lungen auf der Ebene der Nachhal­tigkeit ausein­ander. Schliesslich lassen wir mit Stephan Bloch, Stiftungs­rats­prä­sident Foundation Chocolats Camille Bloch und Martin Folini, Inhaber Folini Partners und Verwal­tungsrat von verschie­denen Famili­en­un­ter­nehmen, die Sicht­weisen von promi­nenten Persön­lich­keiten aus dem Unter­neh­mens­sektor einfliessen.

Wie rasch erholt sich die globale Konjunktur?

Die meisten Staaten regis­trieren nun sehr tiefe Zahlen bei den Neuin­fek­tionen und haben in den letzten Wochen rasche Schritte zur Lockerung des Lockdowns umgesetzt. Der Druck auf die Politik ist in den letzten Wochen auch deshalb gewachsen, weil sich die Verbände der stark betrof­fenen Sektoren energisch für diese Schritte einge­setzt haben. Wie rasch wird sich die globale Konjunktur erholen? Dies hängt von drei wichtigen Aspekten ab:

Ist das Virus unter Kontrolle?

Die weitaus wichtigste Frage lautet, ob mit den bisher getrof­fenen Massnahmen die Ausbreitung des Corona­virus nachhaltig gebremst werden konnte. Die möglichen Szenarien werden kontrovers disku­tiert, weil viele Facetten des Virus noch nicht bekannt sind. Deshalb kann heute noch nicht beurteilt werden, ob die Locke­rungs­schritte tatsächlich adäquat sind. Die Auswir­kungen beim Auftreten und die Grösse einer zweiten Welle werden von den diagnos­ti­schen und thera­peu­ti­schen Fortschritten entscheidend beein­flusst. So würde etwa ein flächen­de­ckender Rollout von Antikör­per­tests ein tatsäch­liches Bild über die Ausbreitung und die (Herden-) Immunität geben, was eine wichtige Entschei­dungs­grundlage für die Politik wäre. Von ähnlichem Nutzen wäre ein konse­quentes Contact Tracing. Unbestritten ist, dass die Pandemie mit thera­peu­ti­schen Durch­brüchen und mit der raschen Verfüg­barkeit eines Impfstoffes am effizi­en­testen einge­dämmt werden könnte. Die inter­na­tio­nalen Koope­ra­tionen und die parti­ellen Erfolge auf diesen Gebieten wecken Hoffnungen, dass das Sars-Cov-2-Virus dauerhaft in Schach gehalten werden kann. Ob Locke­rungen tatsächlich angemessen sind, wird man vermutlich in ein bis zwei Monaten feststellen können. Mindestens die Entwicklung in China, wo bisher keine Anzeichen einer zweiten Welle auszu­machen sind, deutet darauf hin, dass aus epide­mio­lo­gi­scher Sicht die Voraus­set­zungen für eine rasche Konjunk­tur­er­holung gegeben sein könnten.

Wie rasch zieht die Nachfrage wieder an?

Ein zweiter Fragen­komplex umfasst Entwick­lungen auf der Ebene des gesamt­wirt­schaft­lichen Angebots und der Nachfrage. Wie der Erholungspfad aussehen wird, hängt zunächst von den Erfolgs­chancen der Locke­rungs­mass­nahmen ab. Vermutlich wird es Regie­rungen geben, die den Lockdown zu rasch lockern und solche, die zu zaghaft reagieren. Länder wie Brasilien oder Russland, die trotz hohen Neuin­fek­tionen eine rasche Norma­li­sierung anstreben, werden wahrscheinlich zurück­buch­sta­bieren müssen. Adres­saten der Notpro­gramme der Regie­rungen und Noten­banken sind haupt­sächlich Unter­nehmen, die in Liqui­di­täts­eng­pässe geraten sind. Dank dieser Hilfen ist die Gefahr einer grossen Konkurs­welle wahrscheinlich gebannt worden, sodass keine eigent­liche Angebots­ver­knappung entstehen sollte. Eine weniger rasche Norma­li­sierung dürfte auf der Nachfra­ge­seite eintreten. Vor allem aufgrund der drama­ti­schen Entwicklung auf den Arbeits­märkten — in den USA ist fast jeder vierte Arbeit­nehmer auf Stellen­suche — ist die Sparrate der US-Konsu­menten ungewöhnlich stark gestiegen. Somit dürfte sich die Konsum­nach­frage trotz gewissen «Nachhol­ef­fekten» nur schleppend erholen. Auch bei den Kapital­in­ves­ti­tionen dürften viele Ausga­ben­pläne sistiert worden sein. Geplante Projekte werden dann reali­siert, wenn die noch zahlreichen Unwäg­bar­keiten ausge­räumt sind. Besonders gross sind die Unsicher­heiten im Bereich der Inves­ti­ti­ons­güter, wo manche Unter­nehmen und ihre Zulie­ferer in den letzten Monaten den hohen Auftrags­be­stand aus der Vorkri­senzeit abbauen konnten und nun mit leeren Auftrags­bü­chern dastehen. Somit dürfte sich ein ähnliches Muster wie nach der Finanz­krise abzeichnen, als die Inves­ti­ti­ons­nach­frage einige Jahre auf tiefem Niveau verharrte.

Werden Stimu­lus­pro­gramme ausgebreitet?

Drittens stellt sich die Frage, ob die Regie­rungen in grossem Stil Stimulus-Programme ausbreiten werden, um die Nachfrage anzukurbeln. Die Noten­banken habe alle Register gezogen. Allen voran hat das Federal Reserve in Koope­ration mit dem Treasury ein Kaufpro­gramm für Unter­neh­mens­an­leihen aufge­setzt, das vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen wäre. An der Wallstreet wird schon der nächste Tabubruch disku­tiert, namentlich die Einführung von Negativ­zinsen, die in Europa und Japan schon seit geraumer Zeit zur Norma­lität geworden sind. Dass Liqui­di­täts­pro­gramme an den Finanz­märkten infla­tionär wirken und die Realwirt­schaft in einer Liqui­di­täts­falle gefangen bleiben kann, haben die Jahre nach der Finanz­krise gezeigt. Üblicher­weise spricht man in diesem Zusam­menhang vom sinkenden Grenz­nutzen der ultra­lo­ckeren Geldpo­litik. Die Debatte darüber, ob der Grenz­nutzen schon ins negative Terri­torium gekippt ist, wird unter dem Stichwort der finan­zi­ellen Repression geführt. Die staat­lichen Schul­den­quoten sind in den letzten Jahren gestiegen und die Staats­haus­halte werden im laufenden Jahr in die tiefroten Zahlen abrut­schen. Aufgrund der ultra­tiefen Zinsen wird die Tragbar­barkeit der Staats­schulden sogar erleichtert, weshalb Obergrenzen still­schweigend sistiert worden sind. Die Inter­ven­tionen der Regie­rungen umfassten haupt­sächlich angebots­seitige Massnahmen, wobei Liqui­di­täts­hilfen und die Stützung der Arbeits­märkte im Vorder­grund standen. Für eine rasche Belebung der Konjunktur müssten die Staaten auch nachfra­ge­seitig mit Stimuli aufwarten. Getreu dem Motto, dass ausser­or­dent­liche Ereig­nisse ausser­or­dent­liche Massnahmen erfordern, wird vermutlich der politische Wille für fiskal­po­li­tische Stützungs­pro­gramme in vielen Ländern wachsen. Dass die Ausein­an­der­setzung über diese Entscheide aber schwie­riger sind und länger andauern als jene über die bisher gespro­chenen Nothilfen, illus­triert uns gerade die EU mit dem Kräfte­zerren um den EU-Aufbaufonds.

Eher U als V oder L

Gesamthaft haben wir den Eindruck, dass die Konsens­schät­zungen zum Erholungspfad, die immer noch eine V‑förmige Entwicklung wider­spiegeln, den Abwärts­ri­siken wenig Rechnung tragen. Falls die Virus­aus­breitung rasch gestoppt werden kann, wirksame Therapien auf den Markt kommen und die Staaten auf der Nachfra­ge­seite aktiv werden, könnte eine rasche Erholung der globalen Konjunktur jedoch zur Tatsache werden. In Kurzform können die Aspekte für die Erholungs­sze­narien wie folgt darge­stellt werden:

Struk­tu­relle und politische Hinter­las­sen­schaften der Corona-Pandemie

Langfristig relevante struk­tu­relle Verän­de­rungen stellen sich oft schlei­chend ein und erscheinen erst dann auf dem Radar der Politik, wenn sich ein grosser Handlungs­druck aufgebaut hat. Einige offen­sicht­liche Trends werden sich durch die Corona-Krise jedoch beschleunigen:

Ultraex­pansive Geldpo­litik bremst den Strukturwandel

Dazu zählt die wachsende Abhän­gigkeit der Noten­banken, die mit ihren Programmen zugunsten der Staats­haus­halte und Finanz­märkte gewis­ser­massen rote Linien überschritten haben. Der Versuch der US-Notenbank, ihre aufge­blähte Bilanz abzubauen, ist im Jahre 2018 aufgrund der negativen Reaktionen an den Finanz­märkten kläglich gescheitert, sodass das Federal Reserve in den nächsten Jahren kaum den Mut für einen neuen Anlauf aufbringen wird. Das monetäre und fiska­lische Auffangnetz wird mittel­fristig wahrscheinlich zu einer dauer­haften Einrichtung. Damit bleiben die Finanz­märkte einst­weilen von der Realwirt­schaft abgekoppelt, was sich jetzt schon in den hohen Bewer­tungen von Aktien und Anleihen manifes­tiert. Wenn die Zinsen über das gesamte Laufzeit­spektrum von den Noten­banken bestimmt werden, wird quasi die Funkti­ons­fä­higkeit des Kapital­marktes ausser Kraft gesetzt. Planwirt­schaftlich festge­setzte Preise (oder eben Zinsen) führen früher oder später immer zu Ungleich­ge­wichten, die den struk­tu­rellen Wandel bremsen. In diesem Zusam­menhang ist häufig die Rede von Zombies, d.h. von Unter­nehmen und sogar Sektoren, die in einem dem Markt überlassen Zinsumfeld nicht überle­bens­fähig wären. Auch auf Ebene der öffent­lichen Haushalte verhindern zu tiefe Zinsen notwendige Reformen. Ausblei­bende Produk­ti­vi­täts­stei­ge­rungen und steigende Staats­quoten schmälern schliesslich das langfristige Wachs­tums­po­tenzial, das zusammen mit der höheren Verschuldung zu den unange­nehmsten Hinter­las­sen­schaften der Corona­krise zählen wird.

Protek­tio­nis­tische Tendenzen greifen um sich

Offen­sichtlich sind auch die Entwick­lungen auf den politi­schen Bühnen, die sich im Nachgang der Krise verstärken werden und die man mit unter dem Begriff «Political Distancing» zusam­men­fassen kann. «America first» gilt erst recht, wenn die US-Bevöl­kerung den Gürtel enger schnallen muss. Der vor vier Jahren von der US-Regierung angezet­telte Handels­krieg wird sich vermutlich verschärfen. Wohin ein zuneh­mender Protek­tio­nismus in extremis führen kann, zeigten die 1930er-Jahre, als der damalige US-Präsident Herbert Hoover den so genannten Smoot-Hawley Tariff Act unter­zeichnete. Mit diesem Gesetz wurden die US-Import­zölle drama­tisch erhöht. Eine Welle des Protek­tio­nismus setzte ein und der globale Handel brach innerhalb von nur drei Jahren um nahezu zwei Drittel ein. Auch andere Phasen der Weltge­schichte zeigen, dass im Zug einer Verschlech­terung des Wohlstandes protek­tio­nis­tische Tendenzen um sich greifen. Ein «Political Distancing» im übertra­genen Sinn ist auch auf der Ebene der regio­nalen und natio­nalen Politik zu beobachten. Dazu zählt der wahrscheinlich wieder wachsende Zwist in der EU zu verschie­denen Fragen, seien es Heraus­for­de­rungen im Zusam­menhang mit der Immigration oder mit der Unter­stützung der zu hoch verschul­deten Staaten in der Eurozone. Auf natio­naler Ebene werden die sich akzen­tu­ie­renden sozial- und ordnungs­po­li­ti­schen Debatten zu einer zuneh­menden Polari­sierung führen, die letztlich populis­ti­schen Kräften in die Hände spielt.

Trend zum Insourcing kann auch positiv sein

Das Rad der Globa­li­sierung wird vermutlich auch durch die Unter­nehmen, die ihre Logis­tik­ketten neu organi­sieren, ein Stück weit zurück­ge­dreht. Die Corona­krise hat manchen Unter­nehmen vor Augen geführt, wie verletzlich die Abhän­gigkeit sein kann. Die Produk­ti­ons­kosten allein werden nicht mehr ausschlag­gebend sein für die Wahl des Produk­ti­ons­stand­ortes, denn politische Risiken müssen verstärkt ins Kalkül gezogen werden. Ein Trend zum Insourcing und zur Neuor­ga­ni­sation der Logis­tik­ketten kann höhere Kosten zur Folge haben, die mit Produk­ti­vi­täts­fort­schritten an anderen Orten kompen­siert werden müssen. Deshalb wird der Trend zu einer verstärkten Automa­ti­sierung und Digita­li­sierung vielen Unter­nehmen helfen, den Kosten­druck abzufedern und zu einer positiven Hinter­las­sen­schaft der Corona­krise werden.

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