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Regie­rungen und Noten­banken ziehen alle Register

Praktisch alle Regie­rungen und Noten­banken rund um den Globus haben Massnahmen ergriffen, um den Corona-geschä­digten Unter­nehmen mit Liqui­di­täts­hilfen unter die Arme zu greifen und mit umfang­reichen Anlei­hen­käufen eine Kredit­krise zu verhindern. Vermutlich werden die Auffang­netze gross genug sein, um ein Abrut­schen in eine Deflation zu verhindern. Die Auguren und mit ihnen die Inves­toren stellen sich bereits auf eine rasche Erholung der Konjunktur ein. Vor allem die Entwicklung an den Aktien­märkten nimmt schon viel Optimismus vorweg.

Die Entwicklung der Neuan­ste­ckungen weckt in Europa Hoffnungen auf eine rasche Eindämmung der Pandemie. In den USA stagnieren die Neuan­ste­ckungen auf hohem Niveau und in einigen Bundes­staaten sind die Zahlen nun auch rückläufig. Dementspre­chend haben die Regie­rungen dem Druck zur schritt­weisen Lockerung der Massnahmen nachge­geben. Uneinigkeit herrscht nach wie vor unter den Experten. Virologen, Immuno­logen und Epide­mio­logen streiten sich über die adäquaten Massnahmen. Dass die Regie­rungen keine Experi­mente eingehen wollen und damit ihre Wiederwahl aufs Spiel setzen, ist nachvoll­ziehbar. Das Risiko einer zweiten, wenn auch abgeschwächten Welle, bleibt bestehen: Nicht abschätzbar ist, ob und oder wann sich die Datenlage wieder verschlechtert, geschweige denn, welches Ausmass eine allen­falls neue Welle erreichen wird.

Länge und Stärke der Rezession noch ungewiss

Die BIP-Konsens-Schät­zungen wider­spiegeln die Erwar­tungen einer V‑förmigen Erholung nach einem starken Einbruch im 2. Quartal als Folge der Lockdowns (Grafik 1). Das gleich­zeitige Auftreten eines Schocks beim Angebot und bei der Nachfrage ist histo­risch einmalig. Dazu kommt der drama­tische Zerfall des Erdöl­preises. Innert vier Wochen haben 26 Mio. Ameri­kaner ihre Stelle verloren. Mehr als 20 % der Erwerbs­tä­tigen dürften inzwi­schen ohne Job sein. In Europa dürfte die Unter­be­schäf­tigung in der gleichen Grössen­ordnung liegen, wobei das volle Ausmass wegen der staat­lichen Zuschüsse für die Kurzar­beits­in­stru­mente nicht in den Arbeits­markt­sta­tis­tiken erscheinen wird. Generell werden die Sparraten steigen, und zwar nicht nur bei jenen Haushalten, die direkt von der Krise betroffen sind. Das Gleiche gilt für die Unter­nehmen, die Inves­ti­tionen sistieren. Die Geschwin­digkeit der Erholung wird einer­seits von den Locke­rungs­schritten der Regie­rungen und anderer­seits von der Entwicklung der Infek­ti­ons­daten abhängig sein. Die Massnahmen der Regie­rungen und Noten­banken setzten bis anhin haupt­sächlich auf der Angebots­seite an, indem sie die Liqui­di­täts­krise mit Kredit­ga­rantien entschärfen. Das Risiko, dass sich die Erwar­tungen einer raschen Erholung als zu optimis­tisch erweisen, schätzen wir als relativ hoch ein.

BIP Quartalsschätzungen

Die Antwort der Regie­rungen und Noten­banken: «Whatever-it-takes»

Die fiskal­po­li­ti­schen Eingriffe zielen darauf ab, dass die in einzelnen Sektoren wegbre­chenden Cashflows nicht zu Liqui­di­täts­eng­pässen führen und dass ein Teil der Arbeits­plätze erhalten bleibt. Grund­sätzlich können die Massnahmen in drei Kategorien einge­teilt werden (Grafik 2): Zusätz­liche Staats­aus­gaben (z.B. medizi­nische Ressourcen, Arbeits­lo­sen­gelder, direkte Subven­tio­nie­rungen), die das Budget unmit­telbar belasten, Zahlungs­auf­schübe wie zum Beispiel für Steuern und Abgaben sowie Kredit­ga­rantien zugunsten privater und staat­licher Kredit­in­stitute. Das Stützungs­paket der EU besteht aus drei Elementen: Alle EU-Länder können beim ESM eine vorsorg­liche Kredit­linie von bis zu 2 % des BIP beantragen, wobei die Mittel nur im Gesund­heits­system einge­setzt werden dürfen. Die Europäische Inves­ti­ti­onsbank (EIB) will EUR 200 Mrd. mobili­sieren, die für KMUs vorge­sehen sind. Überdies einigten sich die 27 Mitglied­staaten auf die Einrichtung eines weitrei­chenden EUR 500 Mrd. schweren «Corona- Aufbau­fonds». Dabei handelt es sich zwar um gemeinsame, aber keine verge­mein­schaf­teten Schulden, wie im Fall von Eurobonds. Die EU-Staaten haften zwar gegen­seitig fürein­ander, dies aber nur bis zur Höhe ihres jewei­ligen Budgetbeitrags.
Die Noten­banken konnten rascher und effek­tiver auf den Plan treten, um die Gemüter zu beruhigen. Seit Anfang Jahr hat die US-Notenbank USD 2.5 Bio. in die Märkte gepumpt, wobei es in einer ersten Phase darum ging, die plötzlich hochschies­sende Liqui­di­täts­nach­frage nach US-Dollars zu bedienen. In einem zweiten Schritt hob das Fed die USD 750 Mrd. Limite für den Kauf von Staats­an­leihen auf. Weil die US-Notenbank von Gesetzes wegen nur Staats­an­leihen kaufen darf, tritt sie im Rahmen eines «Handshakes» als Financier des Treasury auf. So wurden verschiedene Fazili­täten oder Zweck­ge­sell­schaften einge­richtet, welche jeweils mit einem Grund­ka­pital ausge­stattet werden. Mit diesen Vehikeln stützen und schützen das Treasury und das Fed die Geldmärkte, Primär- und Sekun­där­märkte, Bundes­staaten, Gemeinden und Anlage­fonds. Auch wenn die Regierung bzw. der Steuer­zahler für die ersten 10 % Verluste (max. USD 215 Mrd.) gerade stehen muss, ist bei diesen Vehikeln die Grenze zwischen der Geld- und Fiskal­po­litik kaum mehr sichtbar. Die EZB hat ein «Pandemic Emergency Purchase Program» über EUR 750 Mrd. aufge­stellt, mit dem die Folgen der Corona-Krise abgefedert werden sollen.
Insgesamt werden die vier wichtigsten Noten­banken 2020 rund dreimal so viel Liqui­dität in die Märkte pumpen wie im Finanz­kri­senjahr 2008 (Grafik 3). Die Debatte über die Risiken und Neben­wir­kungen werden spätestens dann wieder aufflammen, wenn die Konjunktur Tritt fasst.

Fiskalische Interventionen in % des BIP

 

Veränderung der Bilanzsummen der Notenbanken in Mrd. USD

Knapp benotete Unter­neh­mens­an­leihen bleiben gefährlich

Weil das Inter­ven­ti­ons­vo­lumen der Noten­banken enorm gross ist, wird die Liqui­di­täts­krise wahrscheinlich nicht zu einer eigent­lichen Kredit­krise mutieren. Dagegen spricht auch die Tatsache, dass die Banken solider aufge­stellt sind als vor der Finanz­krise. Aus Inves­to­ren­sicht wäre es aber eine fahrlässige Strategie, sich im Bereich der Unter­neh­mens­an­leihen allein auf die «Notenbank-Puts» (bzw. auf den Tabubruch des Fed, nun auch «Fallen Angels» zu kaufen) zu verlassen. Die Rating­agen­turen werden sich gezwungen sehen, die Credit-Rating vieler Unter­nehmen zurückzustufen.
Kritisch bleibt vor allem der Markt für BBB-Anleihen, der heute in den USA die Hälfte des Investment-Grade-Universums ausmacht. Das Volumen des BBB-Markt­seg­ments ist in den letzten 20 Jahren von USD 350 Mrd. auf 3200 Mrd. (Grafik 4) gestiegen, wobei in den letzten Jahren viele Emissionen der Finan­zierung von Aktien­rück­käufen dienten. Weltweit wurde allein schon im ersten Quartal 2020 ein Schul­den­vo­lumen von rund USD 250 Mrd. in den Non-Investment-Grade-Bereich zurück­ge­stuft, wovon USD 200 Mrd. auf die US-Unter­nehmen Ford, Kraft Heinz Occidental Petroleum entfielen.

Volumen USD Unternehmensanleihen

Aktien­märkte nehmen schon viel Optimismus vorweg

Die Aktien­märkte haben sich nach den Tiefständen von Ende März stark erholt – der World MSCI notiert nur noch 15 % unter dem Stand von Anfang Jahr und der SMI hat gegenüber dem Jahres­anfang weniger als 10 % einge­büsst. Ausschlag­gebend für die unerwartet starken Kursstei­ge­rungen im April waren einer­seits die insbe­sondere in Europa teilweise ermuti­genden Daten zu den Neuan­ste­ckungen und anderer­seits die enormen fiska­li­schen und monetären Rettungs­schirme. Dies schürt die Hoffnung, dass die Krise rascher als ursprünglich angenommen wurde, überwunden werden kann. Allein aufgrund der Dimen­sionen der fiska­li­schen und monetären Rettungs­schirme ist davon auszu­gehen, dass ein Abrut­schen in eine Deflation verhindert werden kann. Aller­dings umfassen die Inter­ven­tionen haupt­sächlich Massnahmen zur Sicherung der Liqui­dität bei den betrof­fenen Unter­nehmen und zur Stützung der Unter­neh­mens­an­leihen. Für eine rasche Belebung der Konjunktur müssten die Staaten auch mit nachfra­ge­sei­tigen Stimuli aufwarten. Die politi­schen Debatten über diese Entscheide dürften sich allerding schwie­riger gestalten als jene über die bisher gesprochen Nothilfen. In diesem Zusam­menhang sind sich die Märkte vermutlich zu wenig bewusst, dass die Kosten der Inter­ven­tionen, die sich in höheren Schulden und stark ausge­wei­teten Bilanz­summen manifes­tieren, das langfristige Wachs­tums­po­tenzial beein­träch­tigen, sei es durch Infla­ti­ons­raten und Zinsen oder durch höhere Steuern.

Vorderhand wird sich das Augenmerk der Inves­toren aber auf die Entwicklung der Unter­neh­mens­ge­winne richten. Die Gewinn­schät­zungen für das laufende Jahr wurden in den letzten Wochen deutlich nach unten revidiert. Bei den Schät­zungen für die Quartals­ge­winne orien­tieren sich die Analysten an den vermutlich zu optimis­ti­schen Konjunk­tur­er­war­tungen. Dementspre­chend rechnen sie mit einer starken Erholung der Gewinne ab Mitte Jahr. Somit besteht die Gefahr, dass sich auch die revidierten Schät­zungen (Grafik 5) als zu optimis­tisch erweisen. Ein Hinweis darauf gibt der langfristige Zusam­menhang zwischen den Verän­de­rungen der BIP-Werte und jenen der Unter­neh­mens­ge­winne. Wenn auch die Korre­lation nicht sehr stark ist, müssten die Gewinne bei Abnahme des BIP um 3 % (über den Daumen gepeilt) um rund 30 % sinken. Vorweg­ge­nommen sind nach Massgabe der Analys­ten­schät­zungen erst ein Minus von 20 %. Last but not least dürfte der Auftrieb der Märkte durch die statt­lichen Bewer­tungen gebremst werden: Letztere sind mittler­weile nicht nur über das Niveau vor Ausbruch der Corona-Krise, sondern auch deutlich über das Niveau früherer Rezes­sionen gestiegen. (Grafik 6)

MSCI World Gewinnschätzungen

 

Kurs Gewinn Verhältnisse 2008 und 2020

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