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Corona­virus – eine Übersicht zum aktuellen Forschungsstand

Die Pharma­in­dustrie arbeitet mit Hochdruck an einem möglichen Mittel gegen COVID-19 und an einem zukünf­tigen Impfstoff. In vielen Ländern laufen für poten­zielle Mittel Phase 3 Studien. Diese sind für Anträge auf Markt­zu­lassung von entschei­dender Bedeutung.

Was ist SARS-CoV‑2 und COVID-19?

Seit Ende 2019 sind wir von einer neuen Virus-Pandemie betroffen. Das neue Virus stammt aus dem bekannten Viren­stamm der Corona­viren, nennt sich SARS-CoV‑2 und kann zur Lungen­krankheit COVID-19 führen. Wie bei vielen Grippe­viren liegt der Ursprung auch bei SARS-CoV‑2 bei einer Übertragung von Tier zum Menschen. In der Bevöl­kerung besteht dagegen noch keine Immunität, wie dies bei einer normalen Grippe der Fall sein kann.

Die Repro­duk­ti­onsrate muss unter 1 gebracht werden

Die Viren-Gene von SARS-CoV‑2 decken sich zu 80% mit dem bereits bekannten SARS-Virus (2002/2003: Severe Acute Respi­ratory Syndrom) sowie zu 50% mit dem MERS-Virus (2012: Middle East Respi­ratory Syndrom). Daher kann die Wissen­schaft von gewissen bestehenden Erfah­rungen durch SARS profi­tieren. Im Vergleich zu den beiden anderen Viren ist die Mensch zu Mensch Übertragung bei SARS-CoV‑2 aber höher. Grund dafür ist die längere Inkuba­ti­onszeit (ohne Symptome) von im Schnitt 5–6 Tagen sowie die Tatsache, dass das Virus sich bereits im Rachen vermehren kann. Somit reicht schon ein leichtes Husten für eine Übertragung. Die Repro­duk­ti­onsrate, das heisst die Anzahl weiterer Infizierter durch eine erkrankte Person, liegt zwischen 2.0 und 3.5. Bei einer normalen Grippe liegt diese Zahl nur bei 1.3 — 2.0. Deshalb ist Social Distancing so wichtig, denn nur so kann es gelingen, die Repro­duk­ti­onsrate unter 1 zu bringen und die Pandemie zu stoppen.

Die Heraus­for­derung der Pandemie-Welle

Die grösste Heraus­for­derung ist zurzeit, dass jüngere Menschen die Krankheit gut meistern und oft nur milde oder fast keine Symptome zeigen. Diese Perso­nen­gruppe ist sozial meist sehr aktiv und überträgt die Krankheit in einer symptom­freien Phase auch auf ältere Genera­tionen sowie Risiko­gruppen. Bei diesen kann COVID-19 zu schweren Lungen­ent­zün­dungen führen. Besonders dann, wenn diese Menschen bereits durch Vorer­kran­kungen geschwächt sind. Auslöser dazu ist eine Überre­aktion des Immunsystems.
Zwischen 30 % und 60 % der Menschen werden sich über die Zeit infizieren. Die meisten davon nur mild. Die Kurve der Infizierten muss wenn immer möglich flach gehalten und in die Länge gezogen werden. So können alle Notfälle stets behandelt werden. Würden viele schwere Fälle innert kurzer Zeit auftreten, wäre die nötige medizi­nische Versorgung nicht mehr gewährleistet.

Wie hoch ist die Mortalitätsrate?

SARS-CoV‑2 überträgt sich über Tröpfchen von Mensch zu Mensch, ähnlich wie bei der normalen Grippe. Ebenso sind die Symptome mit Fieber, Husten und Schnupfen ähnlich. Bei etwa 80 % der Infizierten ist der Verlauf mild, bei 15 % muss eine ärztliche Behandlung erfolgen und bei 5 % müssen Notfall­mass­nahmen das Leben retten. Diese Zahlen basieren auf den erfassten Daten, etwaige Dunkel­ziffern werden nicht berück­sichtigt. Die Morta­li­täts­raten sind je nach Niveau des Gesund­heits­systems sowie der Inten­sität des Testens unter­schiedlich, aber deutlich tiefer als bei MERS und SARS. Während die Morta­lität in Südkorea, wo sehr breit getestet wird und somit von einer hohen Reprä­sen­ta­ti­vität ausge­gangen werden kann, bei 1 % liegt, ist sie in Italien weit über 7 %. In der Schweiz liegt sie momentan bei 0.8 %. Global liegt der Schnitt bei 3.8 %.

Was richtet das Virus in unserem Körper an?

Ein Virus selber hat immer das Ziel, eine Wirts­zelle als Repro­duk­tions-Fabrik (unsere Ribosomen) zu missbrauchen. Ein Virus besitzt selbst keinen Stoff­wechsel und kann sich ohne Wirt (Mensch oder Tier) nicht vermehren. Es besitzt dafür das Programm im Code seiner Nukle­in­säure, um die Wirtzelle zu manipulieren.
Das neuartige Corona­virus befällt unsere Zellen im Lungenraum. Es heftet sich mit den eigenen Spike-Proteinen (welche dem Virus die kronen­ähn­liche Form und den Namen verleihen) an Oberflä­chen­pro­teinen (ACE‑2 Rezeptor) der Wirtzellen an. Die Wirtzelle nimmt somit den Fremd­körper auf. Unser Immun­system erkennt zwar den Fremd­körper, jedoch hat die angeborene wie auch die erworbene Immunität noch keine Antikörper als Gegenmittel.
In der Wirtzelle entpackt das Virus seine Genin­for­ma­tionen durch Polymerase. Dieser entpackte RNA-Genstrang (Bauan­leitung mit Infor­ma­tionen der DNA) wird von unseren Ribosomen gelesen und kopiert die Viren-Gene. Dabei werden die eigent­lichen Aufgaben vernach­lässigt. Ebenfalls werden alle weiteren Bestand­teile (im Wesent­lichen 3 Proteine) des Virus von unseren eigenen Zellen repro­du­ziert: Das Hüllen­protein, das Spike-Protein und die Membran. Nach dem Zusam­men­setzen der Bestand­teile und der Verviel­fa­chung der Viren sorgt es dafür, dass die Wirtzelle platzt und die Viren im Körper gestreut werden. Dieser Prozess wiederholt sich, bis das Immun­system dagegen eine Antwort gefunden hat.

Mögliche Medika­mente gegen COVID-19

Um das Immun­system zu unter­stützen, sind bisher bereits über 90 klinische Studien gegen die Krankheit COVID-19 regis­triert. Das bis anhin meist­ge­nannte Medikament ist der Antivirale Wirkstoff Remde­sivir von Gilead Science. Das ursprünglich für Ebola entwi­ckelte, aber nie zugelassene Medikament unter­bindet das korrekte Kopieren der viralen Erbsub­stanz und kann so die Repro­duktion der SARS-CoV‑2 unter­binden. In vielen Ländern laufen aktuell Phase 3 Studien. Erste Daten und die Möglichkeit für eine Zulassung gegen COVID-19 könnten anfangs April folgen. Ein breiter Einsatz ist denkbar, da das Sicher­heits­profil bereits bei Ebola-Patienten bewiesen werden konnte.
Weitere antivirale Wirkstoffe wie Cloro­quine sind ebenfalls in Testphasen. Dieses sehr alte Medikament, welches vor 70 Jahren von Bayer gegen Malaria entwi­ckelt wurde und zeitweise das meist­ver­kaufte Medikament der Welt war, hat die Fähigkeit, das Anbinden der Virus­zellen am Rezeptor des Wirtes zu unter­binden. Cloro­quine wird heute von vielen asiati­schen Generika-Firmen produ­ziert und ist sehr günstig. Ältere Viren­stämme sind bereits immun dagegen, bei neuen Stämmen könnte es helfen. Auch Sanofi hat eine ähnliche Weiter­ent­wicklung von Cloro­quine namens Qensyl im Angebot.
Ebenso antiviral hilft Favipi­ravir vonToyama, welches die Entpa­ckung der Viren-Erbsub­stanz unter­binden kann.
Auch einige Medika­mente gegen Aids werden getestet, da das HIV-Virus ähnlich wie Corona­viren behandelt werden kann. Aids-Medika­mente unter­binden Enzyme, welche es für die Virus­kopie braucht. Hierzu gehören bereits zugelassene Medika­mente wie Duranavir von Johnson&Johnson oder Kaletra von Abbvie.
Ebenfalls eine Thera­pieform ist die passive Immuni­sierung. Man entnimmt einem bereits genesenen Patienten Blut, welches Antikörper gegen das Virus enthält. Diese können dann einer erkrankten Person verab­reicht werden und helfen die Krankheit zu bekämpfen. Der Nachteil ist, dass nur ein vorüber­ge­hender Effekt erzielt wird. Die Immunität bleibt wegen der fremden Antikörper nicht bestehen.

Bereits bestehende Medika­mente könnten einge­setzt werden

Kürzlich sind auch immun­un­ter­drü­ckende Medika­mente vor allem gegen rheuma­toide Arthritis (chronisch-entzünd­liche System­er­krankung, welche die Innenhaut der Gelenke befällt) in den Fokus gerückt. Ähnlich wie bei Arthritis kann bei COVID-19 mit den Medika­menten eine Überre­aktion des Immun­systems unter­bunden werden, welche sonst zu einer tödlichen Lungen­ent­zündung führen kann (Cytokine-Sturm).
Bei schweren Verläufen zählen Kevraza (Sanofi und Regeneron), Sylvant (Johnson&Johnson) sowie Actemra (Roche) zu den Hoffnungs­trägern. Actemra ist bereits zugelassen und schützt Patienten nach der Krebs­gen­the­rapie CAR‑T vor einer tödlichen Immun­re­aktion. Actemra konnte bei einer kürzlich publi­zierten Studie bei 75 % der Patienten den Sauer­stoff in der Lunge deutlich verbessern. Ende Mai sollen grössere Studi­en­re­sultate vorliegen. Auch die Massen­pro­duktion wäre gesichert.

Langfristig ist ein Impfstoff wichtig

Nur ein Impfstoff kann die Bevöl­kerung länger­fristig schützen. Das Problem der Pharma­in­dustrie besteht darin, dass die Neuent­wicklung eines Impfstoffes – und vor allem das Zulas­sungs­ver­fahren — in der Regel mehrere Jahre dauern. In Ausnah­me­si­tua­tionen kann ein Zulas­sungs­prozess auch verkürzt werden. Vor 2021 dürfte aber kein Produkt zugelassen werden.

Neuar­tiger Forschungsansatz

Im Rennen um die Entwicklung eines Impfstoffes fallen immer wieder die Namen dreier Unter­nehmen: Moderna aus den USA, sowie Biontech und CureVac aus Deutschland. Alle drei Unter­nehmen sind spezia­li­siert auf Medika­mente und Wirkstoffe auf Basis von mRNA (Messenger RNA). mRNA ist die Boten­nu­kle­in­säure, welche die Erbinfor­ma­tionen der DNA in einen Code umwandelt, um so die richtigen Proteine der Erbsub­stanz bilden zu können. Die Proteine nehmen dann die Aufgaben der Zellen wahr. Da die Gene und Proteine des SARS-CoV‑2 bekannt sind, wollen alle drei Firmen mit einer künstlich gebil­deten Virus-RNA Proteine des Virus im mensch­lichen Körper repro­du­zieren lassen, welche aber unschädlich sind. Das heisst, sie setzen nicht wie bei klassi­schen Impfstoffen üblich inaktive Viren oder Viren­be­stand­teile ein. Sie wollen eine ungefähr­liche Infektion simulieren und damit das Immun­system dazu bringen, Antikörper zu bilden. So wäre unser Körper gewappnet, wenn er tatsächlich mit SARS-CoV‑2 konfron­tiert ist.

Auch aus Basel kommen erfolgs­ver­spre­chende News. Ein Forscher entwi­ckelte Nanopar­tikel des SARS-CoV‑2 Virus, welche nun in Tierver­suchen in Bern getestet werden. Die Nanopar­tikel sollen starke Immun­ant­worten und die Produktion von Antikörper anregen. Sind diese Studien positiv, wären es die ersten positiven Tierstudien eines Impfstoffes. Klinische Studien könnten Anfang Sommer beginnen.

Der Faktor Zeit ist entscheidend

Proble­ma­tisch ist, dass beide Techno­logien (RNA und Nanopar­tikel-Proteine) neuartig sind und es noch keinen zugelas­senen Impfstoff dieser Arten gibt. Die Idee könnte aber funktio­nieren. Modernas Impfstoff befindet sich bereits in einer Phase 1 Studie am Menschen, um das Sicher­heits­profil zu definieren. Erste Studi­en­daten könnten Ende April folgen, bevor eine breitere Phase 2 Studie für die Effizi­enz­über­prüfung folgen kann. Die Kandi­daten der beiden deutschen Unter­nehmen beginnen erst Ende April (Biontech) resp. Juni (CureVac) mit ihren klini­schen Studien. Biontech koope­riert dazu mit Fosun aus China und womöglich Pfizer aus den USA und gilt als sehr hoffnungsvoll.

Die Pharma­in­dustrie braucht Zeit, um einen Impfstoff zu entwi­ckeln. Deshalb ist es jetzt sehr wichtig, dass die erlas­senen Regeln in allen Ländern einge­halten werden. Nur so kann die Ausbreitung des Virus verlangsamt und Patienten mit antivi­ralen Medika­menten thera­piert werden.

 


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