Nach zehn Monaten intenÂsiver ForschungsÂarbeit ist es der BiotechÂnoÂlogie gelungen, positive Impfstoff-Daten in kliniÂschen Phase-3-Studien zu publiÂzieren. Während am 9. November das Duo Pfizer/BioNtech in ihrer Studie eine Effizienz von 90 % erreichte, wartete am 16. November Moderna sogar mit 94.5 % Effizienz auf. Eine Zulassung in Amerika im Dezember ist bei beiden KandiÂdaten im Bereich des Möglichen, in Europa dürfte es Anfang 2021 werden.
Hohe Effizient bei den KandiÂdaten von Pfizer/BioNtech und Moderna
Innerhalb der Phase-3-Studie von Pfizer/BioNtech, in welcher 44‘000 Probanden (22’000 erhielten Placebo) geimpft wurden, werden 94 ErkranÂkungen vermerkt. Von diesen 94 erkrankten Personen stammen mindestens 86 aus der Placebo-Gruppe, das heisst, diese Personen wurden nicht mit dem richtigen ImpfkanÂdiÂdaten geimpft und haben sich mindestens eine Woche nach der zweiten verabÂreichten Placebo-Dosis nachweislich mit symptoÂmaÂtiÂschem SARS-CoV‑2 infiziert. So bleiben maximal acht Personen, die den ImpfkanÂdiÂdaten verabÂreicht bekamen und trotzdem erkrankt sind. Setzt man diese Zahlen zueinÂander ins Verhältnis, bedeutet dies eine Impfstoff-Effizienz von 90%, was sehr hoch ist.
Auch Moderna konnte am 16. November 2020 die ersten Interims-Daten ihrer Phase-3-Studie publiÂzieren. In der 30’000 Probanden umfasÂsenden Studie wurden bis zur Auswertung 95 ErkranÂkungen gemeldet. 90 davon stammen aus der Placebo-Gruppe, d.h. nur fünf stammen aus der Gruppe, die wirklich geimpft wurde. Die Effizienz liegt hier sogar bei hohen 94.5 %.
Auch das russische Projekt der Gamaleya Instituts hat Interims-Daten nach 20 ErkranÂkungen publiÂziert und kommt auf 92 % Effizienz. Jedoch scheint dieses Datenset sehr frühzeitig publiÂziert worden zu sein, sogar bevor die Probanden die zweite Dosis erhalten haben. Daher sind wir bezüglich diesem ImpfkanÂdiÂdaten eher zurückhaltend.
Der erste ZulasÂsungsÂantrag kann sehr bald gestellt werden
Die laufenden Phase-3-Studien beider Projekte müssen nun noch die geforÂderten 2‑Monate an SicherÂheitsÂdaten publiÂzieren, bevor ein ZulasÂsungsÂantrag bei der Federal Drug AdminisÂtration (FDA) eingeÂreicht werden kann. Diese Daten sollten bei Pfizer/BioNtech in der dritten NovemÂberÂwoche und bei Moderna Ende November zur Verfügung stehen. Nach einer Prüfung bei der FDA steht einer Notfall-Zulassung in Amerika bereits im Dezember nichts mehr im Weg. Eine Zulassung in Europa könnte anfangs 2021 erfolgen.
Die Federal Drug AdminisÂtration (FDA) hat von den Entwicklern eine Effizienz von mindestens 50 % erwartet. Somit ist nach so kurzer Zeit das Erreichte für die Impfstoff-Entwicklung enorm positiv zu werten. Trotz all dieser zuverÂsichtlich stimmenden Daten braucht es weitere wichtige AuswerÂtungen, um die Dauer des Impfschutzes zu ermitteln.
Ist dies die GeburtsÂstunde der mRNA-Technologie?
Beide ImpfkanÂdiÂdaten basieren auf der neuarÂtigen mRNA-TechnoÂlogie (messenger RNA). Dabei wird dem menschÂlichen Körper eine einsträngige Kopie der DNA verabÂreicht, die eine Anleitung für die Produktion des Spike-Proteins des Virus enthält. Die menschÂlichen Zellen lesen diese BauanÂleitung und stellen das identische aber ungefährÂliche Spike-Protein her, auf welches das ImmunÂsystem dann die Antwort und den Schutz aufbaut. Der spannende Ansatz scheint seine GeburtÂsÂtunde zu erleben. Die HerausÂforÂderung bleibt aber die StabiÂlität dieser Produkte. Der Pfizer/BioNtech Kandidat muss bei ‑60 bis ‑70° gelagert und transÂporÂtiert werden. Er überlebt im Kühlschrank bei 2 — 8 Grad lediglich einen Tag. Dafür braucht es aufwändige Kühlketten, die mit UPS, DHL oder Va-Q-Tec aufgebaut werden. DemgeÂgenüber scheint Moderna eine stabilere Variante hergeÂstellt zu haben. Dieser Kandidat soll bei ‑20 Grad transÂporÂtiert und gelagert und im Kühlschrank sogar rund 30 Tage überleben können. Andere ImpfkanÂdiÂdaten, die auf anderen TechnoÂlogien basieren, können teilweise noch länger im Kühlschrank gelagert werden.
Bis Ende Jahr können Pfizer und BioNtech ca. 50 Mio. Dosen des Impfstoffs fertigen. Moderna dürfte zusammen mit Lonza rund 20 Mio. Dosen herstellen können. Diese reichen für rund 35 Mio. Personen. 2021 könnten die KapaziÂtäten dann hochgeÂfahren werden und Pfizer/BioNtech könnte rund 1,3 Mrd. Dosen und Moderna immerhin 500 — 1’000 Mio. Dosen produzieren.
Es braucht weitere Impfkandidaten
Bis jetzt haben bereits einige Staaten und Länder eine Vielzahl von VorbeÂstelÂlungen verschieÂdener Impfstoffe getätigt. Die EU hat sich zum Beispiel bereits 300 Mio. Dosen des Pfizer/BioNtech Produktes gesichert. Bis diese aber die EU in vollem Umfang erreichen, werden weitere sechs bis neun Monate vergehen. In einer ersten Phase sollen damit RisikoÂperÂsonen und SpitalÂperÂsonal geimpft werden.
Nach Pfizer/BioNtech und Moderna dürften AstraÂZeneca sowie Johnson & Johnson die nächsten KandiÂdaten sein. Beide befinden sich ebenfalls in der letzten kliniÂschen Phase-3-Studie. Beide KandiÂdaten mussten aber mindestens einen Monat ZwangsÂpause einschalten, da Probanden der Studien schwere NebenÂwirÂkungen aufgeÂwiesen haben, die aber nichts mit dem ImpfkanÂdiÂdaten zu tun hatten. Dies hat deren Fortschritt etwas verzögert, erste AuswerÂtungen werden frühestens Ende Dezember erwartet.
Die KandiÂdaten von AstraÂZeneca und der Oxford University sowie von Johnson&Johnson basieren beide auf Adeno Virus Vektor TechnoÂlogie, bei derer ein dem Menschen bekanntes ErkälÂtungsÂvirus BauanÂleiÂtungen von SARS-CoV‑2 enthält. Auch die StudiÂenÂdaten von Novavax, welche dem Körper ungefährÂliche Virus-NanoparÂtikel von SARS-CoV‑2 verabÂreichen wollen, könnten im Januar publiÂziert werden. All diese ImpfkanÂdiÂdaten liessen sich sogar bei +2 bis +8 Grad lagern.
Viele Länder sichern sich ihre Impfdosen
Bisher wurden weltweit über 6 Mrd. Dosen von Impfstoffen mit einem Gegenwert von über USD 60 Mrd. vorbeÂstellt. Dies zeigt, wie dringend viele Länder wieder in eine „Normale Welt“ zurück möchten. Die Staaten und Länder haben sich mit mehreren Verträgen und über diverse TechnoÂlogien abgesiÂchert, falls einige KandiÂdaten die kritische 3. Phase nicht erfolgÂreich meistern sollten.
Die Europäische Union hat offiziell 1.4 Mrd. Impfdosen bestellt. Das reicht, um die gesamte BevölÂkerung von etwas über 700 Mio. zu impfen. Hinzu kommen Options-Verträge über weitere 650 Mio. Die VereiÂnigten Staaten haben 800 Mio. Dosen vorbeÂstellt, was ebenfalls den Bedarf für die ganze BevölÂkerung von 330 Mio. Menschen deckt. Die OptionsÂverÂträge liegen sogar bei 1.6 Mrd. Dosen.
Auch die Schweiz bleibt nicht untätig
Die Schweiz hat VorbeÂstellung von 4.5 Mio. Dosen bei Moderna sowie von 5.3 Mio. bei AstraÂZeneca getätigt. Zudem hat unser Land das Budget für Impfstoffe um weitere CHF 100 Mio. auf 400 Mio. erhöht. Dies stellt unter anderem sicher, dass die 3 Mio. Dosen des Pfizer / BioNtech Impfstoffes reserÂviert werden konnten. Die Schweiz wird vermutlich ordnungsÂgemäss die sechs Monate SicherÂheitsÂdaten, welche es für eine normale Zulassung braucht, abwarten und erst im 2. Quartal 2021 mit Impfen beginnen. Die ProbleÂmatik mit den Kühlketten wurde in der Schweiz zusammen mit dem Militär bereits gelöst. Unser Land scheint also relativ gut gerüstet zu sein. Ziel ist es auch in der Schweiz, zuerst RisikoÂperÂsonen sowie das GesundÂheitsÂperÂsonal zu impfen.
Abgekürztes ZulasÂsungsÂverÂfahren
In der Schweiz stehen aktuell in der ZulasÂsungsÂprüfung nach „Rolling Review“ neben AstraÂZeneca auch Pfizer und BioNtech sowie neu Moderna. Ein Rolling Review bedeutet, dass die StudiÂenÂdaten fortlaufend von der SwissÂmedic getestet werden und nicht erst am Ende beim ZulasÂsungsÂantrag. Dies spart natürlich deutlich Zeit.
Die KapaziÂtäten werden nicht sofort verfügbar sein
2020 werden maximal 50 bis 100 Mio. Dosen erhältlich sein. Im 1. Quartal 2021 geht man von einer ProdukÂtiÂonsÂerÂweiÂterung auf maximal 700 Mio. Dosen aus. Dies setzt aber voraus, dass eine Vielzahl von ImpfproÂjekten wie zum Beispiel von Johnsons&Johnson, AstraÂZeneca oder Novavax ebenfalls positive Phase-3-Daten publiÂzieren werden. Erst nach dem 2. Quartal 2022 wären insgesamt etwa 12 Mrd. Dosen produÂziert, so dass die gesamte Menschheit geimpft werden könnte. Es dauert also auf jeden Fall noch etwas, bis gegen COVID-19 weltweit eine Lösung verfügbar ist.
Bisher relativ gute Sicherheitsprofile
In den durchÂgeÂführten Phase‑1 und Phase-2-Studien sowie auf Basis der ersten Interims-Daten der Phase‑3 haben die Impfstoff-KandiÂdaten bisher relativ gute SicherÂheitsÂprofile gezeigt. Es sind bei den meisten zwar leichte NebenÂwirÂkungen aufgeÂtreten, diese sind aber relativ schnell wieder abgeklungen. Bei den meisten handelte es sich um lokale Schmerzen an der Impfstelle, Kopfschmerzen, Müdigkeit oder leichtes Fieber. Moderna hat bereits detailÂliertere InforÂmaÂtionen zur Phase‑3 veröfÂfentÂlicht. Die Grad-3-NebenÂwirÂkungen umfassen Schmerzen an der InjekÂtiÂonsÂstelle (2.7 %) nach der ersten Dosis und Müdigkeit (9.7 %), MuskelÂschmerzen (8.9%), GelenkÂschmerzen (5.2 %), Kopfschmerzen (4.5 %) und Rötungen (2.0 %) nach der zweiten Dosis. Die bald folgenden 2‑Monatsdaten werden weiteren Aufschluss darüber geben.
Ganz ohne NebenÂwirÂkungen wird kein Kandidat über die Runden kommen. Das ist aber auch bei den Influenza-Impfstoffen so. Es bleibt den BürgeÂrinnen und Bürger selber überlassen, ob sie kleinere NebenÂwirÂkungen für den Schutz gegen eine Krankheit wie COVID in Kauf nehmen werden oder nicht, denn an eine allgeÂmeine Impfpflicht ist aktuell nicht zu denken.
Offene Fragen
In den kommenden Monaten stehen die folgenden Fragen im Zentrum:
1) Wie lange hält der Schutz einer Impfung an?
2) Wie oft muss demnach geimpft werden?
3) Wie wichtig sind neutraÂliÂsieÂrende Antikörper? Oder spielen T‑Zellen in der ImmunÂabwehr eine noch wichtigere Rolle?
4) Bleibt SARS-CoV‑2 ein Virus, welches eher langsam mutiert, so dass eine Impfung nicht jedes Jahr neu produÂziert werden muss?
Die WissenÂschaft geht heute davon aus, dass der Impfschutz rund ein Jahr bestehen könnte, was für eine jährliche Impfung sprechen würde. Fraglich bleibt aber noch immer, ob die neutraÂliÂsieÂrenden Antikörper die wichtigsten KompoÂnenten oder ob es doch eher die zelluläre Immunität (T‑Zellen) sind. Bei den T‑Zellen waren die Daten in den kliniÂschen Studien der Impfstoff-KandiÂdaten teilweise unterÂschiedlich. Antworten auf diese Fragen wird man aber erst im Laufe des Jahres 2021 finden. GlückÂliÂcherÂweise ist die MutatiÂonsrate des Virus bisher eher langsam, das Spike-Protein, auf das sich die WissenÂschaft fokusÂsiert hat, scheint bisher stabil zu sein.
VorsichÂtiger Optimismus
Über die nächsten Monate wird uns die zweite Welle der Pandemie aber weiter beschäfÂtigen. Eine kurzfristige Lösung bieten die positiven Impf-Studien noch nicht. Aber sie geben Hoffnung, dass die Pandemie unter Kontrolle gebracht werden kann. Ebenfalls zeigt die zweite Welle, dass das SpitalÂperÂsonal bei der Behandlung von der Erfahrung der ersten Welle profiÂtiert. Die Krankheit wird allgemein besser verstanden und die Patienten können gezielter behandelt werden. Dies führt dazu, dass aktuell die NotfallÂpaÂtiÂenten weniger lange auf der Notfall-Station verweilen müssen und die TodesÂfallrate tiefer ist als noch im Frühjahr. VorsichÂtiger Optimismus ist angebracht, es braucht aber auf alle Fälle noch etwas Geduld und Durchhaltevermögen.
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