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Die 7 Leben des Wasserstoffs

Wasser­stoff-Wirtschaft – eine unend­liche Geschichte

Bei den Inves­toren etwas gesetz­teren Alters weckt der Name Ballard Power mögli­cher­weise ungute Gefühle. Der kanadische Hersteller von Brenn­stoff­zellen ist seit einer gefühlten Ewigkeit an der Börse kotiert. Die Aktie lockte vor über 20 Jahren in Scharen Anleger an, welche bereits damals auf eine grosse Zukunft der Wasser­stoff-Techno­logie setzten. Doch sie waren zwei Jahrzehnte zu früh, und viele verloren mit Brenn­stoff­zellen-Titeln wie Ballard viel Geld. Nach einem Zenit bei über CAD 150 implo­dierte die Aktie im Gleichtakt mit der Tech-Blase und fristete im neuen Jahrtausend weitgehend als Penny-Stock das Dasein eines Quasi-Nonvaleurs. Die Nachfrage nach Brenn­stoff­zellen blieb stark überschaubar, Ballard verbrannte an die 1 Milliarde Dollar. Tatsächlich hat die Firma seit 25 Jahren noch nie einen opera­tiven Gewinn geschrieben. Aber Totge­sagte leben bekanntlich länger. Heute bezahlt man für den Titel wieder 22 kanadische Dollar, zumal die Analysten dem Unter­nehmen eine Verdrei­fa­chung des Umsatzes innerhalb der nächsten vier Jahre zutrauen. Wird nun also alles anders?

Wasser­stoff als Energie­speicher schon lange Wunschkandidat

Die physi­ka­li­schen und techni­schen Vorteile von Wasser­stoff (chemisch H2) als Energie­träger sind schon lange bekannt. Das ultra­leichte Element lässt sich mittels Elektrolyse aus Strom und Wasser herstellen und anschliessend in oben erwähnten Brenn­stoff­zellen wieder zu Strom, Wasser und Wärme umwandeln. Ein idealer Rohstoff also, um Elektri­zität zu speichern. Solche Speicher­lö­sungen werden mit dem steigenden Anteil von Wind- und Solar­energie im Netz immer wichtiger. Doch zahlreiche technische Hürden wie Lagerung und Transport, vor allem aber die hohen Herstel­lungs­kosten waren lange Zeit unüber­windbare Barrieren für eine breitere Verwendung als Energie­speicher, sowohl bei statio­nären Anwen­dungen als auch im automo­bilen Bereich. Bislang werden die ca. 100 Millionen Tonnen Wasser­stoff, die jährlich herge­stellt werden, je hälftig in Erdöl-Raffi­nerien und für die Herstellung von Dünger verbraucht. Dabei handelt es sich um sogenannt «grauen» Wasser­stoff. Diesen gewinnt man aus Erdgas und Wasser­dampf mittels eines Dampf­re­for­mierung genannten Prozesses, bei dem somit viel CO2 freige­setzt wird.

Elektro­mobile erzeugen Nachfrage

Im Zuge der exponen­tiell steigenden weltweiten Beliebtheit von Elektro­autos erwachte der Wunsch nach Elektro­flitzern mit grösserer Reich­weite und rascherer Betankung. In der Tat: Ein Tankvorgang für ca. 5 Kilogramm H2 dauert nicht einmal 5 Minuten, damit fährt ein Mittel­klas­se­wagen dann gut und gerne 500 km weit. Der Wasser­stoff steht dabei unter hohem Druck (bis zu 1000 bar), wodurch der Tank 75 Liter fassen muss, also circa doppelt so viel Volumen wie bei einem Benziner. Dabei wiegt der gesamte Tank inklusive Brenn­stoff­zelle nur ca. 100 Kilogramm, um ein Vielfaches weniger als eine Batterie mit der gleichen Reich­weite. Wirklich ins Gewicht – und dies wortwörtlich – fällt dieses Argument dann erst recht bei elektrisch betrie­benen LKWs, Lokomo­tiven oder Schiffen. Nachdem in den letzten Jahren die Leistung von Brenn­stoff­zellen und die Handhabung des Wasser­stoffs deutlich verbessert wurden, sehen nun etliche Staaten wie Japan, Korea, Norwegen, Deutschland oder Australien den Zeitpunkt gekommen, um die Techno­logie in der Breite zu fördern.

Nur grüner Wasser­stoff hilft das CO2-Problem zu lösen

Treiber hinter diesen Inves­ti­tionen – die EU wird in ihrem «Green Deal» grosse Summen in die Wasser­stoff-Industrie inves­tieren – sind die Klima­ziele, zu welchen sich zahlreiche Staaten rund um den Globus verpflichtet haben. Das 2017 am Weltwirt­schafts­forum in Davos gegründete Hydrogen-Council, ein Zusam­men­schluss von mittler­weile 60 grossen Indus­trie­un­ter­nehmen, sieht bis 2030 ein Potenzial für knapp 300 Milli­arden USD, um länger­fristig an die 18 % der globalen Energie­nach­frage mit Wasser­stoff zu decken. In der Summe könnte sich – Stand heute – die H2-Produk­ti­ons­ka­pa­zität bis zum Jahr 2050 fast verzehn­fachen. Aller­dings dürfte nur gerade ein knappes Drittel davon «grüner» Wasser­stoff sein, also solcher, der mit erneu­er­barem Strom produ­ziert wurde und damit eine CO2-Bilanz von Null ausweist. So will zum Beispiel Shell mit nieder­län­di­schen Partnern eine Windfarm von 4 Gigawatt Leistung erstellen, welche dann jährlich 800’000 Tonnen grünen Wasser­stoff produ­ziert. Zum Vergleich: 4 Gigawatt Leistung entspricht viermal der Leistung des Kernkraft­werks in Gösgen. Die EU ihrer­seits plant ganze 40 Gigawatt an Elektrolyse-Kapazität und zusätz­liche 120 Gigawatt an Windenergie. Der überwie­gende Rest der Wasser­stoff­pro­duktion wird vorerst aber dennoch durch Erdgas-Refor­mierung erfolgen und damit «grau» sein, oder allen­falls (in Kombi­nation mit CO2-Bindung im Unter­grund) «blau».

Die Kosten müssen runter

Noch kostet das grüne H2 in der Herstellung ca. 5 CHF pro Kilogramm und damit gut dreimal mehr als das graue, aus Erdgas erzeugte. An der Zapfsäule bezahlt der Konsument sogar ca. 10 CHF, womit die Treib­stoff­kosten ähnlich hoch sind wie beim Benziner. Nur, dass die H2-Elektro­autos im Ankauf noch deutlich höhere Preis­schilder haben. Doch mit dem Kapazi­täts­ausbau kommen in den nächsten Jahren typische Skalen­ef­fekte zum Tragen. Durch­schnittlich 50% müssen die Kosten runter, damit H2 auf breiter Front wettbe­werbs­fähig wird. Dies bedingt aber, dass alle Zulie­ferer in der Wertschöp­fungs­kette effizi­enter werden. Da und dort wird es zu Margen­druck und Preis­kämpfen kommen. Welche Unter­nehmen letztlich eine anständige Rendite auf ihren Inves­ti­tionen erzielen, ist nicht einfach vorher­zu­sehen. Zunächst gilt es aber erst einmal, dem Huhn-Ei-Problem der fehlenden Wasser­stoff-Tankstellen und entspre­chend geringen Nachfrage nach H2-Autos entge­gen­zu­treten. In ganz Deutschland kann der leichte Kraft­stoff gerade mal an 80 Orten getankt werden. Doch mit Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und TOTAL haben sich jüngst sechs Unter­nehmen aus der Mineralöl- und Automo­bil­in­dustrie unter dem Namen H2 Mobility zusam­men­ge­schlossen, um eine flächen­de­ckende Infra­struktur aufzu­bauen. Dem gleichen Ziel verschrieben hat sich in der Schweiz der Förder­verein H2 Mobilität, dem zahlreiche Tankstel­len­be­treiber und Trans­port­un­ter­nehmen angeschlossen sind.

Ist diesmal alles anders?

Zumindest, was die Adaption der Wasser­stoff-Techno­logie angeht, scheint es nach Jahrzehnten der Hoffnung und 23 Jahre nach der Verab­schiedung des Kyoto-Proto­kolls nun für einmal tatsächlich so zu sein. Und alle sind dabei. Nicht nur auf Staats­ebene. Keiner will den Zug verpassen. Erdöl­gi­ganten wie Shell, BP, Equinor und Total. Infra­struktur-Ausrüster wie Siemens, ABB, Technip und Nel Hydrogen. Rohstoff­lie­fe­ranten wie Linde, Air Liquide, Anglo American und Umicore. Strom­ver­sorger und Indus­trie­firmen wie Engie, National Grid, Bosch oder 3M. Und selbst­ver­ständlich Mobili­täts­un­ter­nehmen wie Hyundai, BMW, Nikola Motors und Stadler Rail. Wer als Investor mit von der Partie sein will, dem bietet sich also die Qual der Wahl.

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